Persönliche Erklärung zur Abstimmung über die "Notbremse"

Persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Abstimmung über den Entwurf des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite („Notbremse“)

Bei der Entscheidung des Deutschen Bundestages über die so genannte „Notbremse“ stimme ich gegen den vorliegenden Gesetzentwurf.

Der Kern des Gesetzentwurfs schadet dem föderalen Prinzip der Bundesrepublik. Viele der bisher in der Pandemiebekämpfung durch die Länder getroffenen Regelungen waren und sind kritikwürdig. Daran ändert sich jedoch nichts, wenn dieselben Regelungen nun durch den Bund festgelegt werden. Den Ländern wird jetzt die Möglichkeit genommen, individuell auf das örtliche Infektionsgeschehen zu reagieren. Damit geht uns eine wichtige Möglichkeit verloren, aus unterschiedlichen Ansätzen in der Pandemiebekämpfung zu lernen. Projekte wie in Rostock, Tübingen oder dem Saarland wird es nicht mehr geben. Nicht eine Verlagerung der Verantwortung auf die Bundesregierung, sondern auf die Parlamente sollte das Ziel sein.

Die Verhängung von Ausgangssperren ist grob unverhältnismäßig und in ihrer Tragweite verfassungsrechtlich fragwürdig. Die Wissenschaft weist mit großer Dringlichkeit darauf hin, dass die Ansteckungsgefahr vornehmlich in Innenräumen existiert, nicht im Freien. Ausgangssperren bergen daher die Gefahr von Fehlanreizen, in deren Folge sich die Menschen vermehrt in Innenräumen treffen. Auch das weitreichende Sportverbot an der frischen Luft erscheint angesichts der geringen Infektionsgefahr willkürlich. Dabei ist sportliche Betätigung gerade in Zeiten des Homeoffice wichtig für die Gesundheit der Menschen. Die Schließung von Geschäften ist schwer nachvollziehbar, da der Einzelhandel kein Infektionstreiber ist. Negativ getesteten Kunden sollte es auch bei Inzidenzwerten über 150 möglich sein, unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen einzukaufen.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Maßnahmen weiterhin ausschließlich an die Inzidenzwerte geknüpft bleiben. Damit wird ein zentraler Fehler in der Pandemiebekämpfung fortgeführt. Mit der beständig steigenden Zahl an durchgeführten Tests steigt automatisch auch die Anzahl der aufgespürten Positivfälle – ohne, dass es dadurch mehr schwere Krankheitsverläufe oder gar Todesfälle gäbe. Gleichzeitig geht aufgrund des zunehmenden Impffortschritts der Anteil der schweren Verläufe und der Todesfälle erfreulicherweise zurück. Im Ergebnis lässt sich mit dem Inzidenzwert allein keine valide Aussage über die tatsächliche Gefährdungslage treffen. Doch gerade bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen ist eine valide Begründung der Erforderlichkeit von Maßnahmen unbedingt notwendig und verfassungsrechtlich geboten. Daher müssen weitere Indikatoren wie die Impfquote, die Testquote sowie die aktuellen Neuaufnahmen auf Intensivstationen mit einbezogen werden.

Mit Blick auf die schwindende Akzeptanz der Menschen ist die Willkürlichkeit von Inzidenz-Schwellenwerten hoch problematisch. Die Beliebigkeit dieser Zahlen offenbart sich am Beispiel der vorgesehenen Regelungen für die Schulen, die ab einer Inzidenz von 165 schließen müssen. Dieser Wert ist völlig aus der Luft gegriffen und lässt sich wissenschaftlich nicht begründen.

Für den Bürger wird die Möglichkeit des Rechtsweges, beispielsweise zur Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen, mit der Regelung der Maßnahmen in einem Bundesgesetz massiv eingeschränkt und damit praktisch genommen. Künftig genügt es nicht mehr, auf die lokalen Gerichte zuzugehen, sondern es ist die Anhörung des Bundesverfassungsgerichts erforderlich. Der vorliegende Gesetzentwurf schränkt die Rechtsstaatlichkeit unseres Landes also in mehrfacher Hinsicht ein. Er ist daher für mich nicht zustimmungsfähig.