Gesamtverteidigung in Gefahr!?

Gesundheitssicherheit, Konzeption Zivile Verteidigung, Ehrenamt und Gesamtverteidigung waren Mitte September die Schlagworte im Berliner Konrad-Adenauer-Haus. Dort stellte die Bundestagsabgeordnete Jana Schimke das neue Buch der Herausgeber Dr. Sascha Rolf Lüder und Björn Stahlhut vom Deutschen Roten Kreuz vor.

Der Zeitpunkt hätte besser nicht sein können. Der Band mit dem Titel „Gesamtverteidigung in Gefahr!? Auf dem Weg zu einer Gesundheitssicherheitspolitik“ befasst sich unter anderem mit der Frage, wie gut Deutschland auf Katastrophenlagen mit einer sehr hohen Anzahl von Verletzten vorbereitet ist. Im Lichte der Corona-Krise gewannen diese Themen dramatisch an Aktualität.

Schimke wies darauf hin, dass das Thema Gesundheitssicherheit in der öffentlichen Wahrnehmung für gewöhnlich ein Schattendasein friste und man Gesundheitsdienstleistungen und ihren hohen Standard als selbstverständlich wahrnehme. Die Möglichkeit eines schweren Unglücks mit einer hohen Anzahl an Betroffenen werde gerne verdrängt, so Schimke weiter. „So etwas passiert uns nicht“, zitierte die Parlamentarierin ein verbreitetes Motto.

Schimke betonte, dass Deutschland konzeptionell gut auf eine Pandemie vorbereitet war: „Die schnelle und umfassende Reaktion vom März dieses Jahres zeigt, wie viel möglich ist, wenn es wirklich gewollt und der entsprechende Druck vorhanden ist.“ Die Bundestagsabgeordnete unterstrich, wie sehr wir in den vergangenen Monaten von der Qualität unseres Gesundheitssystems profitiert hätten. Gleichzeitig habe der Corona-Belastungstest aber auch Schwachstellen aufgezeigt. So mangelte es im Frühjahr an der Versorgung mit Beatmungsbetten, Masken und weiterer Schutzausrüstung.

Da es allerdings nicht möglich sei, sich allein durch Vorratshaltung auf jede denkbare Katastrophe vorzubereiten, „liegt der Schlüssel für eine zuverlässige Versorgung mit medizinischen Gütern in eigenen Produktionskapazitäten in Deutschland oder zumindest in Europa“, so Schimke. Viele Wirkstoffe für wichtige Medikamente werden allerdings heute fast ausschließlich in Asien produziert. Aus dieser Abhängigkeit müsse man sich lösen, forderte Schimke.

Den Herausgebern geht es nicht nur um das Krisenmanagement während einer Pandemie und die gesundheitliche Versorgung in diesem Kontext, sondern auch um die Erfordernisse der Gesundheitsversorgung im bewaffneten Konflikt.

Dass der bewaffnete Konflikt zukünftig nicht mehr dasselbe Gesicht zeigen werde wie vor 30 Jahren, führte Mit-Herausgeber Björn Stahlhut in seinem Redebeitrag aus. Bewaffnete Konflikte der Zukunft würden sich besonders in drei Bereichen verändern. Der Oberstleutnant der Reserve beschrieb zukünftige bewaffnete Konflikte als hybrider, asymmetrischer, aber auch totaler. Dies mache eine neue Herangehensweise notwendig und führe unweigerlich zu der Frage für die Gesamtverteidigung „Wovon gehen wir eigentlich aus, wenn wir planen und uns vorbereiten?“. Stahlhut erkannte u.a. Handlungsbedarfe in der Krankenhaus-Versorgung und sah Diskussionsbedarf bezüglich eines Gesellschaftsdienstes 2.0 oder einer Gesundheitsdienstpflicht. Daneben ging der Grundsatzreferent im Berliner DRK-Generalsekretariat auch auf die zunehmende Bedeutung der „Community Resilience“ ein. In dem Band werde ein flammendes Plädoyer für die kompetente, engagierte, flexible und kreative Kraft von proaktiv handelnden Individuen und Gemeinschaften gehalten, sagte Stahlhut. Hier sei auch die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung angesprochen.

An dieser Stelle setzte der zweite Mit-Herausgeber, Dr. Sascha Rolf Lüder, an. Der Leiter des Verbindungsbüros des DRK zu Landtag und Landesregierung im nordrhein-westfälischen Düsseldorf betonte, wie bedeutsam in der deutschen Systematik der Gefahrenabwehr starke und handlungsfähige Länder und Kommunen seien. Dies habe sich in der aktuellen Corona-Pandemie deutschlandweit gezeigt. Die Leistungsfähigkeit im föderalen System wachse stets von unten nach oben, so Dr. Lüder weiter. Daher sei es von erheblicher Bedeutung , so der früherer Landeskonventionsbeauftragte der DRK-Landesverbände in NRW, dass zum Erhalt der Leistungsfähigkeit im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz umfassend von den Möglichkeiten der sogenannten Bereichsausnahme für den Rettungsdienst, so wie sie im GWB verankert sei, Gebrauch gemacht werde.

Die Vortragenden des Abends waren sich darin einig, dass die einmalige Leistungsfähigkeit des deutschen Systems nur möglich sei, weil etwa 1,7 Millionen ehrenamtliche Helferinnen und Helfer ihre Zeit, ihr Engagement und ihr Herzblut für die Sache einbrächten. Die „Durchdringung der Gesellschaft mit kompetenten Akteuren“ ob organisiert in den Hilfsorganisationen, oder als spontane Helfer, sei ein zentraler Pfeiler der Hilfeleistung in Notlagen, so eine der wichtigsten Botschaften des Abends.